Hintergrund

Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt – ein Fall aus Berlin

 

17. Februar 2010: Am U-Bahnhof Parchimer Allee sprechen Polizisten dem 21-jährigen F.M. einen Platzverweis aus. Laut ihren Angaben versucht er daraufhin zu flüchten, sei dabei auf einer Treppe gestürzt und habe sich verletzt. Die Beamten bringen ihn in den Streifenwagen. Allerdings fahren sie F. M. nicht auf eine Wache, sondern in die Nähe des Schönefelder Flughafens. Die völlig verschneite Straße ist für den Verkehr gesperrt – die Polizisten können davon ausgehen, dass ihrem Opfer niemand zu Hilfe kommen würde. Die Polizisten zerren F. M. aus dem Auto. Sie prügeln brutal auf ihn ein, zerreißen seinen Ausweis. Mitten im Winter lassen sie den Verletzten auf einer gesperrten Straße liegen. Zeug_innen beobachten jedoch den Vorfall und rufen die Brandenburger Polizei. Grund für die Kontrolle und den folgenden Übergriff ist eine unterstellte Herkunft des Opfers. Chronik von KOP Berlin

Dieser Fall zeigt, wie Polizist_innen nicht nur ihre Funktion überreizen, sondern ihr Gewaltmonopol ausnutzen und als Täter_innen in Uniform Menschen misshandeln. Dabei nutzen sie die schwierige Situation von Menschen (vermeintlich) ausländischer Herkunft in der Gesellschaft aus. Viele Opfer erstatten keine Anzeige. Oft haben sie Angst vor weiterer Diskriminierung oder gar Racheakten. Sehr häufig fehlen den Opfern (aussagebereite) Zeug_innen für eine Anzeige. Weiterhin drohen die Beamt_innen den Betroffenen mit Gegenanzeigen und geben diese auch auf, meist wegen „Widerstandes“ gegen Vollstreckungsbeamt_innen, sodass die Opfer zu Täter_innen umgedeutet werden. Zusätzlich stellt sich eine gewisse grausame „Normalität“ ein: Die Opfer empfinden rassistisch motivierte Behandlung als ungerecht, aber auch als üblich für deutsche Verhältnisse; manche Menschen resignieren.

Menschen ohne Papiere sind gewalttätigen Polizeibeamt_innen völlig schutzlos ausgeliefert; würden sie die Täter_innen anzeigen, müssten sie fürchten, abgeschoben zu werden. Auch Flüchtlinge oder Geduldete, die als solche anerkannt sind, haben oft Angst, ihre Aufenthaltsgenehmigung entzogen zu bekommen, wenn sie sich offen gegen den Missbrauch der Staatsgewalt stellen. Gleichzeitig sind die Menschen verunsichert – viele haben rassistische Gewalt bereits erleben müssen. Im Falle von Polizeigewalt fehlt es an Ansprechpartner_ innen und an Schutz für die Betroffenen. An die eigentlichen „Beschützer_innen“ können sie sich nicht wenden.

Viele Bedenken sind berechtigt: Nur eine sehr geringe Quote von angezeigten rassistischen Übergriffen durch Polizist_ innen kommt überhaupt vor Gericht; viele Verfahren werden eingestellt. Wenn Beamt_innen gegen ihre eigenen Kolleg_ innen ermitteln, ist der Interessenkonflikt offensichtlich. Auch Verurteilungen sind selten, da Polizist_innen kaum gegeneinander aussagen. Im Juli letzten Jahres attestierte auch ein Richter Polizist_innen Korpsgeist.

Die Beschuldigung, Widerstand geleistet zu haben, oder Polizist_innen gegenüber Gewalt angewendet zu haben, ist bei Polizeigewalt allgemein verbreitet. Die Gesellschaft und ihre Beamt_innen kriminalisieren Menschen, die ausländischer Herkunft sind oder nach rassistischen Merkmalen als „nicht-deutsch“ eingeordnet werden, auch noch auf andere Weise. Dass es in Berlin und Brandenburg über Jahre hinweg immer wieder dazu kam, dass Polizist_innen beispielsweise Vietnames_innen misshandelten, liegt auch an den rassistischen Debatten, die in der Gesellschaft geführt werden. In diesem Fall prägen Medien und Politiker_innen seit langem das Bild der „vietnamesischen Zigarettenmafia“ und schüren in der Bevölkerung somit Angst und Abneigung gegen Menschen aus Vietnam. Die Folge war nicht nur Gewalt, sondern systematische Verfolgung durch Polizist_innen, die damit endete, dass einige Betroffene in den 1990er Jahren geschlagen, gefoltert und vollkommen erniedrigt wurden. Einige Polizist_innen zwangen Vietnames_innen damals, sich nackt auszuziehen und Grimassen zu schneiden, damit sie „wie Chinesen“ aussehen sollten. (siehe Wüllenweber, Walter: „Wir mussten ständig diese Grimassen schneiden.“ in Berliner Zeitung, 21. Juni 1994)

Bei diesen Übergriffen handelt es sich nicht um „bedauerliche Einzelfälle“, wie es Verantwortliche gerne behaupten – falls sie überhaupt zugeben, dass Polizist_innen sich falsch verhalten haben. Das Gegenteil ist der Fall: In der Polizei ist Rassismus institutionalisiert. Schon die Kontrollen, die Polizist_innen durchführen, haben zur Grundlage das „racial profiling“ oder „ethnic profiling“, das es in Deutschland angeblich nicht gibt. Menschen, denen eine ausländische Herkunft unterstellt wird, werden ständig kontrolliert, an Bahnhöfen, in Parks, auf der Straße. Neben dem Klischee des Zigarettenhändlers gibt es das Bild der Drogendealer oder das der Islamisten, unter dem Muslim_innen leiden. Die Kontrollen sind häufig nicht rechtmäßig und meist brutal. Die Polizist_innen wenden oft mehr Gewalt an, als ihnen rechtlich gesehen zusteht und als der Situation entsprechend notwendig wäre. Somit existieren in der deutschen Polizei rassistische Strukturen, deren grausame Spitze rassistisch motivierte Misshandlungen sind – bis hin zu Morden. (Sie reichen von Oury Jalloh bis Christy Schwundeck.)

Wer rassistisch behandelt oder gar misshandelt wird, leidet unter einem weiteren Problem: Nicht immer ist die rassistische Motivation „beweisbar“. Zum Beispiel rief kürzlich ein Mann kubanischer Herkunft nach einem Autounfall, an dem er nicht schuld war, die Polizei (Berlin). Jedoch bestritten die ankommenden Beamt_innen, dass es einen Schaden gebe. Sie weigerten sich, den Schaden zu begutachten und ihm eine Vorgangsnummer zu geben. Der Mann fühlte sich von ihnen schlecht und rassistisch behandelt. Als er deshalb eine Beschwerde an den Polizeipräsidenten richtete, wurde er wegen Beleidigung angezeigt. Inzwischen wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Staatsanwalt sagte in der Verhandlung noch, besonders schlimm sei, dass der Mann die Polizist_innen als rassistisch beleidigt habe, im Gegensatz zu möglichen anderen Beleidigungen. Wo er doch aus Kuba käme, also aus einer Diktatur, könne er doch nicht Beamt_innen einer Demokratie auf diese Weise beleidigen.

Dieser Artikel erschien in einer früheren Fassung in der Zeitschrift Grenzwertig .